Interview: Frau Bahls

Hannah (H): Könnten Sie sich zum Einstieg vorstellen und selber als Lehrer beschreiben?
Frau Bahls (Fr.B.): 
Das ist einfach und schwer zugleich. Ich bin natürlich ein Sprachlehrer und ticke ganz anders als beispielsweise Mathelehrer, weil Dinge sprachlich anders gefasst werden, das heißt nicht ganz so sachlich, kurz und knapp, sondern ein wenig weitschweifiger. Ansonsten versuche ich, konzentriert und auf den Punkt kommend zu arbeiten. Als Lehrerin bin ich bemüht, so viel Objektivität, wie nur irgendwie möglich ist, in das ganze Unterrichtsgeschehen zu bringen, sodass Schüler meine Bewertungen immer nachvollziehen können. Und ansonsten habe ich nach wie vor Lust an der Sprache.
H: Welche Sprachen sprechen Sie denn eigentlich?
Fr.B.: 
Gelernt habe ich als erste Fremdsprache Russisch, was ich auch ganz gut verstehe, und wo ich die Grundgrammatik kenne. Ich habe auch festgestellt, dass man damit sehr viel Polnisch verstehen kann — gewollt oder ungewollt. Sprechen fließend sind Französisch und Italienisch, wobei Italienisch noch einen Ticken besser ist als Französisch. Interessant finde ich, dass ich durch das Italienische sogar rauskriegen kann, worüber sich Rumänen unterhalten. Lesen könnte ich Rumänisch nicht, weil es ein bisschen anders ist als Italienisch oder Französisch. Zur Überraschung der Englischlehrer kann ich auch passabel Englisch sprechen. Das habe ich auch tatsächlich ein Jahr lang studiert, sodass ich also in der Phonetik ziemlich gut bin. Aber Englisch ist nicht mein Ding, eher eine Hilfssprache.
H: Wie sieht Ihr Lehreralltag aus?
Fr.B: 
Im frühen Aufstehen, weil ich seit 20 Jahren fast immer zur ersten Stunde habe [lacht].
Dann natürlich im Unterrichten. Ich habe bis zu 80 % Französischunterricht, und der Rest ist ein bisschen Deutsch und ein bisschen Italienisch. Unterrichten ist das eine, korrigieren das andere. Korrigieren frisst viel Zeit, und ich mag es überhaupt nicht — es muss aber sein.
H: Und was machen Sie in ihrer Freizeit, wenn sie keine Arbeiten korrigieren?
Fr.B: 
Das ist ja keine Freizeit, sondern Arbeit. Freizeit besteht aus Folgendem: Wir haben einen großen Garten, da kann man sich abarbeiten. Dann habe ich ein altes Hobby von mir wieder aufleben lassen, und zwar das Nähen. Des Weiteren: Glasperlen drehen. Das ist sehr beruhigend, sehr kreativ, man kann sozusagen der Schöpfung zugucken wie sie sich formt. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich wahrscheinlich auch den Stift in die Hand nehmen und zeichnen. Was meine Kollegen wahrscheinlich bei mir eher vermuten würden, wäre kochen. Da habe ich auch viel Spaß dran, weil es ein kreativer Prozess ist.
H: Das heißt, Sie haben Spaß an kreativen Tätigkeiten?
Fr.B: 
Ja unbedingt.
H: Das passt ja auch gut zu ihrem Interesse an Sprache. Hatten Sie denn in der Schule ein Lieblingsfach?
Fr.B: 
Ganz schwierig. Also ich sag mal so: Lieblingsfächer sind auch verbunden mit Lieblingslehrern. Da hatte ich bis zur zehnten Klasse tatsächlich Deutsch, weil ich ein sehr witzigen, sehr eloquenten Deutschlehrer hatte.
H: Da fügt sich meine nächste Frage gleich an. Nämlich: Gab es ein Lehrer in Ihrem Leben, der einen bestimmten Einfluss auf Sie hatte?
Fr.B: 
Es gab zwei Lehrer. Das ist einmal dieser Deutschlehrer, der unser Klassenlehrer war. Wir waren eine recht ungebändigte Klasse; zwei drittel Jungs und ein drittel Mädchen. Dadurch gab es natürlich vorgefasste Meinungen wie die Klasse ist. Davor hatten wir vor allem Klassenlehrer, die sich nicht gut durchsetzen konnten, aber dieser hat tatsächlich Zucht und Ordnung reingebracht. Aber er war nie verletzend, sondern in seiner Strenge sehr direkt, und so hatten wir als Schüler viel Spaß. Und in der siebten Klasse hatten wir einen Französischlehrer, der war fasziniert von mir, weil ich schneller war als die anderen. Deshalb gab er mir Zusatzaufgaben, aber irgendwann sagte er so: „Ich weiß nicht mehr, was ich mit dir machen soll…” [lacht] H: War das auch der Lehrer, der die Leidenschaft für das Französische geschürt hat?
Fr.B.: 
Nein, das war eine ganz andere Entscheidung. Ich hatte einen Studienplatz für Pharmazie. Bio und Chemie waren auch Fächer, die mir extrem gelegen haben, Chemie noch mehr, und die haben tatsächlich auch viel mit Kreativität zu tun. Das war zur Wendezeit. Ich bin immer bedrängt worden, Lehrer zu werden, aber zu Ostzeiten war das für mich ein No-Go.
H: Wodurch haben Sie schlussendlich die Entscheidung getroffen, Lehrer zu werden?
Fr.B: 
Das war in dieser Umbruchszeit, wo man sich die Frage gestellt hat, was man macht. Pharmazie hatte ich abgehakt und ich hatte das Verlangen, Sprachen zu studieren. In Greifswald habe ich deshalb begonnen, Deutsch und Englisch zu studieren. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass Englisch nicht mein Fach ist. Im zweiten Studienjahr bin ich angekommen bei Deutsch und Französisch, später habe ich noch Italienisch dazu genommen. Es ging dann alles relativ schnell. Ich hatte beispielsweise noch nicht einmal das erste Staatsexamen, da bin ich vom Schulamt angefragt worden, ob ich nicht Vertretungslehrer machen würde, weil ich ein Jahr in Frankreich gewesen bin. Französischlehrer waren damals schwer zu finden, und das hatte sich dann so ergeben. An der französischen Schule hat es mir als Assistant de langue auch sehr viel Spaß gemacht, wodurch ich mir dachte, dass das tatsächlich mein Ding werden könnte.
H: Welche Erfahrungen haben Sie aus Frankreich mitgenommen oder was war sehr einprägsam? Fr.B: Einprägsam war, dass der Unterrichtstag extrem durchstrukturiert ist für die Schüler. Und obwohl sie wenig Freizeit haben, sind sie trotzdem mit ihrem Leben zufrieden. Dieser schulische Rahmen gibt vielen Sicherheit und Halt. In Frankreich hat Bildung einen ganz anderen Stellenwert. Vom Kindergarten bis Klasse zwölf wird sehr viel in die Bildung gesteckt, und das schlägt sich nieder in der technischen Ausstattung. In Deutschland wird jetzt von Dingen geredet, die ich vor über 20 Jahren in Frankreich schon längst entdeckt habe.
H: Könnten Sie erzählen, was Sie durch das Sprachenlernen noch gelernt haben, natürlich außer die Sprache an sich?
Fr.B: 
Eine der Aufgaben eines Fremdsprachenlehrers ist es, die ganze Kulturfrage mit zu vermitteln.
Als ich einmal bei einer Lehrerfortbildung war, habe ich einen solchen Kulturunterschied zwischen Asiaten und Europäern erlebt. Ich war in einer Arbeitsgruppe mit einer jungen Frau, welche richtig gute Ideen hatte. Bei der Präsentation tauchte dann ihr älterer Kollege auf, welcher ganz schlechtes Französisch sprach und nicht unbedingt einen kompetenten Eindruck vermittelte. Die Frau aber hielt wirklich die ganze Zeit den Mund, was mich sehr wunderte. Das hat wirklich etwas mit diesem Zurücknehmen zu tun, weil A) ein Mann etwas sagt, weil B) ein Älterer etwas sagt und weil C) man selber nichts zu sagen hat oder alles falsch sein könnte. Und es wird zu allem genickt, auch wenn es noch so großer Blödsinn ist. Es scheint also eine echte Kulturfrage zu sein. Das kann man auch daran ablesen, wie es sich mit der Respektbezeugung verhält. In Asien: je tiefer die Verbeugung und je häufiger das nicken, desto eher ist man geneigt eine andere Person zu respektieren. Bei uns habe ich manchmal das Gefühl, dass der gegenseitige Respekt abhanden kommt. Das fängt beim Grüßen auf dem Schulhof an, egal ob das Kollegen oder Schüler sind, und geht weiter mit dem Verhalten, das man sich tagsüber entgegenbringt.
H: Apropos Respektlosigkeit: Möchten Sie mir von Ihrer furchtbarsten Schulstunde erzählen?
Fr.B: 
Furchtbar war die nicht, aber witzig. Nachdem ich mein Staatsexamen an einem 11.11. um 11:00 Uhr abgelegt hatte, habe ich auch sofort eine Stelle an einem Gymnasium erhalten. Dort war ich Klassenleiter einer richtige Rabaukenklasse. Ich hatte einen Schüler, der kam an, schmiss erst seine Beine auf den Stuhl vom Nebenmann, holte dann etwas zu trinken raus, und fragte mitten in der Stunde, ob er aufs Klo gehen kann. Und andere sprang da mit auf. Das hat mich irgendwann so sehr genervt, dass ich zu ihm gesagt habe: „Wenn du meinst, dass du es besser kannst, kannst du gerne hier vorne stehen.” Darauf hat er geantwortet: „Das mache ich.” Er hat sich dann auch super vorbereitet, aber ich mich auch. Ich setzte mich hinten in das Klassenzimmer, und hatte alles, was er so gemacht hatte, zusammen gesucht: Ich hatte Schokolade mitgebracht, die ich lauthals anbot. „Wer will auch was?” Irritierte Schülerblicke, die nahmen dann zögerlich Schokolade. Ich holte mir etwas zu trinken raus, und fing laut an zu trinken, ich packte meine Füße auf den Tisch… Ich habe also alles gemacht, was er vorher gemacht hat, ihn sozusagen gespiegelt und dabei natürlich auch übertrieben. Und die Klasse war total konsterniert, die drehte sich immer wieder zu mir um, guckte wieder nach vorne, und irgendwann meinte er genervt zu mir: „So kann ich nicht arbeiten!” Da habe ich ihm erklärt: „Und ich auch so nicht.” Und von da ab ging das.
H: Er hat also daraus gelernt?
Fr.B: 
Nicht nur er, die ganze Klasse. Ich habe den Schülern danach auch friedlich und freundlich erklärt, dass ich mit so einer Lautstärke wenig anfangen kann und dass ich eigentlich möchte, dass sie ordentlich das Fach lernen.
H: Behalten wir diese positive Attitüde gleich bei. Gibt es einen Moment mit ihren Schülern, den sie als schönsten beschreiben können?
Fr.B: 
Wenn man die ehemaligen Schüler sieht, die auf einen zu kommen, dann muss man manchmal erst überlegen: ‘Oh Gott… Wer war das jetzt gleich?’ Der hat in der Bank sowieso gesessen… Aber interessant finde ich dann, wenn sie mir ganz stolz erzählen, was sie tolles mit Französisch angestellt haben. Ich hatte zum Beispiel einmal eine Schülerin, die war wirklich unkaputtbar in jedem Fach, aber in Französisch war sie so gut, dass sie beim Bundesfremdsprachenwettbewerb für Französisch den zweiten oder dritten Platz machte und deshalb ein Stipendium bekam. Diese Schülerin kam aus einer Familie, die auf Hartz IV angewiesen war. Da traf es also genau die richtige. Sie war vom Leben nicht verwöhnt, aber sie war so gut und hat sich das alles selbst erarbeitet. Sowas sind natürlich Sternstunden.
H: Es ist bestimmt besonders toll wenn man merkt dass die Schüler etwas aus dem Unterricht mitgenommen haben oder später etwas mit Französisch angefangen haben?
B: 
Ja, das ist besonders schön. Aber das liegt nur an mir, das müssen die Schüler ja auch selber wollen. Ich kann höchstens den Anschub leisten. Und wenn sie für sich mitnehmen, dass sie für sich selber, für ihr Leben und was sie daraus machen verantwortlich sind, dass ist das für mich mit das Schönste. Was sie dann beruflich machen ist eher nebensächlich. Hauptsache es macht ihnen Spaß.
H: Nun sind wir auch schon bei meiner letzten Frage: Was mögen Sie besonders an ihrem Beruf oder worauf könnten Sie gerne verzichten?
Fr.B: 
Verzichten ist wohl klar: auf die Korrektur [lacht]. Aber was ich nicht vermissen möchte, ist der Kontakt zu den Schülern. Was ich mir mehr wünschen würde, wäre eine Kultur des Austausches, und zwar des richtigen Austausches, zwischen den Kollegen. Das hat man manchmal bei Fortbildungen und ich hatte das während des Referendariats. Dort hatte ich Kollegen, die nicht nur daran interessiert waren, durch die nächste Lehrprobe zu kommen, sondern auch daran, sich zu überlegen, was anders sein müsste und wie man situativ mit den Schülern arbeiten kann. Was ich interessant finden würde, wäre zu sehen, wie andere Kollegen den Unterricht gestalten. Ich weiß nicht wirklich wie XY im Unterricht ist. Es gibt sozusagen den Ruf, den man sich erarbeitet und der einen permanent begleitet, aber nichts anderes.
Worüber ich auch überrascht bin, ist wenn Schüler, die mit einer Sprache gar nichts am Hut haben, sich plötzlich engagieren, weil sie etwas haben, was sie richtig gut bearbeiten können. Das habe ich einmal bei einer Projektarbeit für einen Wettbewerb zum Tag der deutsch-französischen Freundschaft, am 21. Januar, erlebt. Dabei ging es darum, eine Website zu bauen, richtig mit Links und Hypertext schreiben, das war damals noch schick und modern. In der Klasse hatte ich einige, die konnten Französisch richtig gut, waren jedoch technisch eher ausgestattet mit zwei linken Händen und alles Daumen. Aber ich hatte auch ein paar ganz pfiffige Jungs, die in Französisch bei der drei oder vier rumgekrepelt haben, die dann aber plötzlich total aktiv wurden und alles vorbereitet haben, wo ich so dachte: sieh mal an. Die Jungs hatten eben ganz andere Stärken, die dann auch mal hervortreten. Ich würde mir wünschen, dass man sich auch tatsächlich in einer professionellen Art und Weise darüber unterhalten würde, und zwar nicht nur, wenn man über die Zeugnisse der Schüler richtet, sondern in einem richtigen kollegialen Gespräch.
Dabei geht es darum, das Bestmögliche aus dem Schüler rauszuholen, damit er die Sicherheit für das Leben bekommt: ‘Das schaffe ich’. Wenn ich die Schüler betrachte, die ins Leben entlassen werden, habe ich oft nicht den Eindruck, dass sie das tatsächlich auch nachher schaffen. Wenn die Schüler wissen würden: ‘Jetzt geht es los, jetzt muss ich meinen Teil leisten’, dann wäre auch die Motivation stärker, etwas zu tun. Natürlich kann ich immer sagen: Wenn du jetzt dieses machst, dann kriegst du am Monatsende jenen Betrag an Geld. Das nennt man extrinsische Motivation, damit kann man zwar etwas erreichen, aber ich glaube es geht nicht in die beabsichtigte Richtung. Hingegen wenn derjenige weiß, was erschafft und sich selber motiviert, dann ist dieser Gedanke an Erfüllung und Zufriedenheit viel stärker.
Es wäre schön, wenn man da den Synergieeffekt, der so viel beschworen wird, stärker in irgendeiner Form nutzen würde, gerade hier im schulischen Bereich.


Das Interview führte Hannah
Illustration: Hannah

Koboldt

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