Die Schulcafeteria ist voller Stimmen, Gelächter und klapperndem Geschirr. An einem der Tische sitzt Emmi, den Blick fest auf ihren leeren Teller gerichtet. Ihre Freundinnen sitzen nur wenige Meter entfernt, scherzen, essen gemeinsam Pommes – doch Emmi bleibt allein, behauptet, sie habe „schon gegessen“. Keiner ahnt, dass sie seit Tagen kaum mehr als ein paar Apfelstücke zu sich nimmt, heimlich in ihrer Tasche versteckt.
Was bringt junge Menschen wie Emmi dazu, den eigenen Körper so radikal zu kontrollieren? Und warum bleiben die Warnsignale oft so lange unbemerkt – selbst von Familie und Freunden? Essstörungen gehören zu den ernsthaftesten psychischen Erkrankungen, die gerade Jugendliche besonders betreffen. Etwa 21,9 % der jungen Menschen zwischen 11 und 17 Jahren zeigen Anzeichen gestörten Essverhaltens. Besonders Mädchen sind betroffen, mit einem Anteil von 28,9 %, bei Jungen liegt dieser bei etwa 15,2%. Die häufigsten Formen von Essstörungen sind Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und die Binge-Eating-Störung, wobei Anorexia nervosa durch eine krankhafte Angst vor Gewichtszunahme, Bulimia nervosa durch einen Zyklus von Essanfällen und gegensteuerndem Verhalten wie Erbrechen und Binge-Eating durch unkontrollierte Essanfälle ohne anschließende Kompensation gekennzeichnet ist. Besonders seit der COVID-19-Pandemie zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Fälle bei Jugendlichen. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie empfindlich das Essverhalten auf soziale und psychische Belastungen reagiert.
Die Ursachen für Essstörungen sind komplex und umfassen genetische, psychologische sowie gesellschaftliche Einflüsse. Studien zeigen, dass eine genetische Veranlagung eine wichtige Rolle spielt, da Essstörungen häufig familiär gehäuft auftreten. Gerade Zwillingsstudien bestätigen, dass eine genetische Grundlage vorhanden ist, die in der Fachwelt als Heritabilität bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass bestimmte Menschen aufgrund ihrer genetischen Ausstattung anfälliger für Essstörungen sind. Liegt bei eineiigen Zwillingen eine Essstörung vor, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch der andere Zwilling betroffen ist. Darüber hinaus spielen psychologische Faktoren eine entscheidende Rolle. Jugendliche, die an Essstörungen leiden, zeigen oft ein niedriges Selbstwertgefühl, ausgeprägten Perfektionismus und ein negatives Körperbild. Hier sprechen Fachleute von sogenannten Kognitiven Verzerrungen, also Denkfehlern und Selbstwahrnehmungen, die das eigene Selbstbild verzerren. Viele Betroffene streben nach einem extremen Ideal, was sie besonders anfällig für Essstörungen macht. Dieser Perfektionismus kann in Verbindung mit einem schwankenden Selbstwertgefühl – oft ausgelöst durch soziale Vergleiche und die pubertäre Selbstsuche – zu einer hohen Verletzlichkeit gegenüber psychischen Belastungen führen. Das Selbstwertkontinuum beschreibt dabei das schwankende Selbstwertgefühl Jugendlicher, das durch die Pubertät, aber auch durch den Vergleich mit anderen stark beeinflusst wird.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der soziale und gesellschaftliche Einfluss. Durchsoziale Medien sind Jugendliche heute mehr denn je mit verzerrten Idealbildern konfrontiert. Die Soziale Vergleichstheorie besagt, dass Menschen sich oft in Relation zu anderen bewerten und ihr Selbstwertgefühl daraus ableiten. Insbesondere Plattformen wie Instagram und TikTok zeigen ständig bearbeitete und optimierte Bilder, die unrealistische Schönheitsideale vermitteln. Diese medial geformten Körperstandards erhöhen den Druck auf Jugendliche, diesen Idealen zu entsprechen. Der Einsatz von Schönheitsfiltern verstärkt die negativen Auswirkungen, da das eigene, natürliche Erscheinungsbild im Vergleich zu diesen künstlichen Standards zunehmend als unzureichend empfunden wird.
Kulturelle Normen und gesellschaftliche Erwartungen haben ebenfalls einen großen Einfluss auf das Essverhalten Jugendlicher. Besonders Mädchen fühlen sich diesen Schönheitsstandards verpflichtet und erleben häufig den Druck, diesen Erwartungen möglichst gerecht zu werden. Fachleute sprechen hier von der Normativen Sozialisation, bei der Jugendliche gesellschaftliche Erwartungen und Normen verinnerlichen. Diese Erwartungen und Schönheitsideale sind in der Pubertät besonders einflussreich, da Jugendliche in dieser Lebensphase ihre eigene Identität und ihr Selbstbild entwickeln und äußere Ideale dabei oft unbewusst als Vorbild übernehmen.
Neben diesen psychischen und sozialen Aspekten spielen auch hormonelle Veränderungen eine Rolle. In der Fachsprache wird von Endokrinen Veränderungen in der Pubertät gesprochen, die durch Schwankungen von Hormonen wie Östrogen und Testosteron entstehen. Diese hormonellen Veränderungen beeinflussen nicht nur die Stimmung und das Selbstbild, sondern verstärken in dieser ohnehin sensiblen Phase auch das Risiko für Essstörungen. Während der Pubertät verändert sich der Körper sichtbar, was bei manchen Jugendlichen Unsicherheit auslösen kann und unter bestimmten Umständen in gestörtes Essverhalten münden kann.
Essstörungen bei Jugendlichen entstehen also durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer Anlagen, psychologischer Eigenschaften sowie gesellschaftlicher und biologischer Faktoren. Besonders die Konfrontation mit überhöhten Schönheitsstandards und die gesellschaftlichen Erwartungen an das Aussehen erzeugen großen Druck. Daher ist eine gezielte Präventionsarbeit nötig, um Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und sie darüber aufzuklären, dass viele dieser Ideale unrealistisch und schädlich sind.
Ich möchte über meine Erfahrungen und die meiner Bekannten und Freunde im Umgang mit Essstörungen sprechen. Rückblickend kann ich sagen, dass ich bereits vor sieben Jahren, also mit acht, die ersten Anzeichen eines gestörten Essverhaltens gezeigt habe. Vieles davon hatte mit meiner Erziehung zu tun. Mir und vielen anderen in meinem Umfeld wurde ein ungesundes Essverhalten quasi anerzogen – durch Bemerkungen der Eltern, später durch Social Media und die immer unrealistischer werdenden Schönheitsideale. Denn nicht selten ist es der Fall, das eine Essstörung nicht nur ein paar Bereiche des Lebens einschränkt, sondern die meisten. Schwimmen gehen mit Freunden? Lieber nicht, in Bikinis sehe ich aus wie eine Rolle mit Stofffetzen. Im Sommer in die Stadt gehen? Lieber nicht, es gucken immer alle so komisch wenn ich etwasbauchfreies trage. Es ist bald Winter, ich brauch noch eine neue Jacke. Die darf mich aber nicht breiter und pummliger machen als ich eh schon bin. Hausaufgaben machen? Vielleicht später ich muss mir erstmal eine neue Diät raussuchen und im Internet gucken was man im Zimmer für Workouts machen kann. Ich könnte ewig so weitermachen und ich bin mir sicher das könnten viele andere auch. Nach der Corona-Pandemie wurde alles noch schlimmer, bis ich schließlich in eine Essstörung rutschte.
Durch den stundenlangen täglichen Social-Media-Konsum bin ich auch auf gefährliche Diäten, wie etwa extreme koreanische Diäten, aufmerksam geworden. Ich habe diese ausprobiert, recherchiert, welche Lebensmittel die wenigsten Kalorien haben, und stieß dabei auf Methoden wie das absichtliche Erbrechen. Irgendwann fühlte ich mich schlecht, sobald ich überhaupt noch etwas gegessen hatte. Also begann ich, an manchen Tagen gar nichts zu essen – irgendwann sogar wochenlang. Es wurde quasi eine Sucht, die nur dadurch befriedigt wurde, dass ich nichts aß. Es ist vergleichbar mit einer Nikotinsucht: Die schlechte Laune und das ständige Einreden „Ich höre bald auf, nur noch dieses eine Mal“ – das kennt wohl auch jeder Raucher. Das Schlimmste daran ist, dass es nicht nur mir so geht. In meinem Freundeskreis habe ich mit der Zeit herausgefunden, dass vor allem viele Frauen unter ähnlichen Symptomen leiden. Ich frage mich, warum das Thema so tabuisiert wird und warum darüber beispielsweise in Schulen kaum aufgeklärt wird. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, Aufklärung auf Instagram in meine Posts und Stories zu etablieren.
Ich bin der Meinung das es sehr wichtig ist über solche Themen aufzuklären um in vielen Fällen vor allem Kindern ein sicheres Umfeld zum aufwachsen bieten zu können, ebenso gerade weil es mir und vielen meiner Bekannten und Freunden das Kind-bzw. Teenager-sein viel schwerer gemacht hat, als es hätte sein müssen.
Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/142915/Essstoerungen-nehmen-zu
Foto mit ChatGPT erstellt.