Das Deutsche Schulsystem – Ein Interview mit der CDU (3)

Die besinnliche Vorweihnachtszeit hat begonnen – Weihnachtslieder, Weihnachtsmarkt, Stollen und Plätzchen – so zumindest die Vorstellung. Die Realität besteht jedoch aus vielen Hausaufgaben, Leistungskontrollen und Klausuren. Das verursacht bei vielen Schülern Stress. Um herauszufinden wie die Parteien zu möglichen – unserer Meinung nach wichtigen – Veränderungen im Schulsystem stehen, haben wir alle großen deutschen Parteien angeschrieben und gebeten unsere Fragen zu beantworten. Simone Oldenburg, die Bildungsministerin Mecklenburg-Vorpommerns und Mitglied der LINKEN , das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MV, und die CDU haben uns bereits geantwortet. Von der SPD, der FDP, dem BSW und der AFD erwarten wir noch die Beantwortung.

Dieser Artikel enthält teilweise die Meinung der Autoren und des Interviewten, in diesem Fall die CDU auf Bundesebene. Wir möchten uns im Voraus für die Beantwortung der Fragen bedanken und freuen uns diese mit den Antworten der anderen Parteien vergleichen zu können.

Einige unserer Lehrer beschweren sich, dass die Rahmenpläne meist sehr voll sind und Themen im Unterricht oft nur kurz und unzureichend behandelt werden können. Sollten die Rahmenpläne verkürzt und auf das Wesentliche reduziert werden? 

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat bundesweit geltende Bildungsstandards für wichtige Fächer für alle Schularten und Jahrgangsstufen erarbeitet. Alle Bundesländer (Länder) sind verpflichtet, die Bildungsstandards in ihren Curricula zu implementieren und in den Schulen umzusetzen. Ansonsten gäbe es keine vergleichbaren Schulabschlüsse, Umzüge innerhalb Deutschlands wären nahezu unmöglich. Bildungsstandards bedeuten aber nicht, dass Länder und Schulen keine inhaltlichen Schwerpunkte setzen können. 

Beispiel Schleswig-Holstein: Die Fachanforderungen – so heißen dort die Lehrpläne – legen fest, was Kinder und Jugendliche in den einzelnen Unterrichtsfächern lernen sollen. Dabei orientieren sich die Unterrichtsinhalte an den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz, soweit es sie für das jeweilige Fach gibt. Allerdings hat die einzelne Schule mehr Spielraum, denn die Fachanforderungen bilden zwar den Rahmen für die Arbeit der Fachkonferenzen an den Schulen. Diese können jedoch auf der Basis der Fachanforderungen schulinterne Fachcurricula entwickeln, so dass die Fachkonferenzen bei pädagogischen, methodischen und didaktischen Umsetzungskonzepten oder inhaltlichen Schwerpunkten Gestaltungsfreiheit haben. Dazu verzichten die Fachanforderungen auf kleinschrittige Detailvorgaben. Das Ergebnis sind schulinterne Fachcurricula, die Kompetenzen und Unterrichtsinhalte auf den jeweiligen Abschluss bezogen definieren und für die einzelnen Jahrgangsstufen auffächern. Auf diese Weise können sich die Fachkonferenzen an den Schulen darauf konzentrieren, das jeweils für ihre Schülerpopulation passende inhaltliche Lerntableau zusammenzustellen. Dafür müssen die Lehrkräfte, wie in Schleswig-Holstein, ihre Gestaltungsfreiheit nutzen, die ihnen das Kultusministerium eingeräumt hat.

Ähnliche Regelungen sind auch in anderen Ländern möglich.

Wie sinnvoll ist der wachsende Einfluss von ständigem Leistungs- bzw. Notendruck auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler? 

Die Wahrnehmung von Leistungs- und Notendruck fällt individuell sehr unterschiedlich aus: nach einer aktuellen Umfrage beantworten nur 7 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Frage, was ihnen an ihrer Schule nicht gefällt, mit „zu hohem Leistungsdruck“ (Deutsches Schulbarometer, 2024). Noten werden auch nicht per se abgelehnt: zum einen schätzen Schülerinnen und Schüler Ziffernnoten als Belohnung für ihre zuvor geleisteten Anstrengungen, außerdem wollen sie wissen, wo sie stehen; zum anderen vergleichen sich Schülerinnen und Schüler immer miteinander. Problematisch ist daher nicht die Einforderung von Leistung. Viel wichtiger für das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler ist ein Schulklima, das den Einzelnen unabhängig von seiner Leistung als Person wertschätzt und ihn bei unzureichendem Schulerfolg individuell fördert und unterstützt. Darauf sollte sich eine Schulgemeinschaft konzentrieren.

Im Übrigen sollte jede und jeder verstehen, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, das heißt, die individuelle Leistungsfähigkeit entscheidet im Idealfall über die Aufstiegschancen einer Person, unabhängig vom Geschlecht, der Herkunft, persönlichen Beziehungen oder materiellen Zuwendungen. Das bedeutet einen Fortschritt, auch wenn eine Leistungsgesellschaft soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten nicht verhindert.  

Was halten sie von einem Verbot von Hausaufgaben? Einige Lehrer verlagern Teile ihres Unterrichts in die Wohnzimmer der Schüler. Dazu kommt, dass Schüler mit einem vollen Stundenplan ohnehin schon wenig Freizeit haben. Wenn sie zusätzlich noch lernen müssen, bleibt häufig kein Freizeitausgleich zur Schule.

Hausaufgaben sind eine wichtige Maßnahme zur Lernzielkontrolle. Die Lehrerinnen und Lehrer können so besser abschätzen, wie gut sie ihre Unterrichtsinhalte vermittelt haben und auf festgestellte Förderbedarfe individuell reagieren. Wichtig ist also, dass die Lehrkräfte die Erledigung der Hausaufgaben überprüfen und bewerten. Ein positives Feedback stärkt die Motivation, ein negatives Feedback gibt Raum für Hilfen, damit sich der Schüler verbessern kann. Beides fördert Lernerfolg. In der Oberstufe kann es Sinn machen, das Konzept des „Flipped Classroom“ anzuwenden, also Unterrichtsinhalte allein oder in kleineren Lerngruppen zu Hause erarbeiten zu lassen und anschließend im Unterricht zu besprechen.  Diese Methode ist sehr geeignet, um selbstständiges Arbeiten zu üben und zu fördern. 

Viele Schüler vergessen den Unterrichtsstoff, den sie für eine Leistungsüberprüfung lernen, meist direkt danach wieder. Das „Bulimie-Lernen“ ist häufig unumgänglich, da bei den vielen Fächern oft keine Zeit vorhanden ist, um sich umfassend mit den gelernten Inhalten zu beschäftigen und diese langfristig zu verinnerlichen. Ist das jetzige System der Leistungsüberprüfung dementsprechend noch sinnvoll? Sollten Schüler beispielsweise vielmehr über eine längere Zeit durch Unterrichtsergebnisse und Mitarbeit bewertet werden?

Mündliche Beiträge im Unterrichtsgespräch können nicht von allen Schülerinnen und Schülern gleichermaßen erbracht werden. Lehrkräfte können daher aufgrund einer fehlenden oder geringen mündlichen Mitarbeit nicht auf fehlende Kompetenzen schließen. Denn einige Schülerinnen und Schüler sind eher introvertiert oder ängstlich, manche haben sprachliche Probleme, andere brauchen etwas länger, um eine Antwort zu formulieren. Angesichts der digitalen Entwicklung ist es denkbar, dass in Zukunft mehr formative Testverfahren eingesetzt werden. Das heißt, die Bewertung erfolgt nicht am Ende eines Unterrichtsabschnitts, sondern die Schüler erhalten während des Lernprozesses Rückmeldungen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass individuelle Lernstände bereits während des Lernprozesses erfasst werden. Dadurch besteht auch die Chance, das Lerninhalte länger im Gedächtnis bleiben. Mit Hilfe digitaler Tools werden die Tests ausgewertet und die Lehrkräfte über die individuellen Lernfortschritte informiert. Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine individuelle Rückmeldung und die Lehrpersonen können sich darauf konzentrieren, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern.

Es gibt Sport-, Musik- und Kunstbegabte Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Vorkenntnissen. Schülerinnen und Schüler ohne entsprechende Vorkenntnisse haben selbst mit viel Leistungsbereitschaft keine Möglichkeit sehr gute Noten zu erzielen. Ist es somit ratsam, alle Schüler nach einer einheitlichen Bewertungsskala in Kunst und Sport zu bewerten? Jetzt schon bewerten manche Lehrer so weit wie möglich die Verbesserung der Leistung der Schülerinnen und Schüler. Meistens muss jedoch nach einer strikten Bewertungstabelle bewertet werden. Gibt es da die Möglichkeit das Engagement der Lehrer in dem Bereich in eine Änderung der Bewertungsmethoden zu erweitern?

Im Kunst-, Musik- oder Sportunterricht werden nicht das Talent oder Vorkenntnisse benotet, sondern ob die Schülerinnen und Schüler die jeweiligen Lernziele erreichen oder nicht. Im Kunstunterricht geht es bspw. darum, ob Arbeitstechniken umgesetzt werden, die zuvor gelehrt wurden. Gerade im Musik- und Sportunterricht ist Teamfähigkeit wichtig. Insofern hängt eine gute Note im Kunst-, Musik- oder Sportunterricht genauso viel oder wenig vom Talent ab wie in Mathematik oder Fremdsprachen. Zudem würde ein Verzicht auf Noten in diesen Fächern, die weniger über Sprache funktionieren, Schülerinnen und Schülern Chancen nehmen, sich hervorzutun.

Wir haben jetzt schon häufig zu Ohren bekommen, dass den Schulen Fördermittel zur Sanierung oder auch zum Kauf von Unterrichtsmaterialien fehlen. Warum befindet sich die Bildung der jungen Menschen nicht an einer höheren Stelle, auch da Sie dafür verantwortlich sein werden, die Renten des immer größer werdenden älteren Bevölkerungsanteils zu decken, zuständig ist? 

Bildungseinrichtungen befinden sich in Deutschland überwiegend in öffentlicher Trägerschaft und werden daher staatlich finanziert, also auch mit den Steuern, die die Eltern der Schülerinnen und Schüler abführen. Laut Grundgesetz sind die Länder für das Bildungswesen zuständig; sie finanzierten allein im Jahr 2022 gut zwei Drittel (69,2 %) der öffentlichen Bildungsausgaben, die restlichen Summen entfallen auf die Gemeinden und den Bund. Bei sanierungsbedürftigen Schulgebäuden oder unzureichenden Bildungsmedien ist die jeweilige Landesregierung erste Ansprechpartnerin von Eltern und Schülern. Angesichts besonderer Herausforderungen, wie der Digitalisierung, hat sich der Bund in die Pflicht nehmen lassen und den DigitalPakt 1.0 in Höhe von 6,5 Milliarden Euro zu 90 Prozent finanziert. Ab 2025 wird ein DigitalPakt 2.0 von Bund und Ländern folgen.  

Im Unterschied zum Bildungswesen ist der Bund für die gesetzliche Rentenversicherung zuständig. Mit Blick auf die demografische Entwicklung muss es jetzt darum gehen, dass die Zuschüsse des Bundes für die Rentenversicherung nicht weiter ungebremst steigen. Deshalb wollen CDU und CSU in ihrem aktuellen Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 das Arbeiten im Alter attraktiver machen.  Die 6- bis 18-Jährigen sollen mit 10 Euro pro Monat gefördert werden, damit sie eine individuelle und kapitalgedeckte private Altersvorsorge aufbauen können. 

Bei allen Herausforderungen sollte es unser Ziel sein, Alt und Jung nicht gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen beides: gute Schulen und auskömmliche Renten. Dieses Ziel werden wir nur mit mehr Leistungsbereitschaft von allen Beteiligten erreichen. Denn der Staat kann nur verteilen, was vorher von den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet wurde. Voraussetzung dafür sind exzellent qualifizierte Fachkräfte, die es ohne gute Schulen nicht geben wird. Auch deshalb sind Landtagswahlen so wichtig, denn sie entscheiden über die Zusammensetzung der Landesregierung und damit auch über die Bildungsausgaben.

Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf im Schulsystem? Haben wir möglicherweise eine Problemstellung nicht thematisiert, welche Sie jedoch als besonders wichtig erachten? 

Die Menschen in unserem Schulsystem stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die nur von hochqualifizierten und motivierten Lehrerinnen und Lehrern zusammen mit multiprofessionellen Teams sowie lern- und leistungsbereiten Schülerinnen und Schülern gemeistert werden können. Damit dies angesichts einer heterogenen Schülerschaft gelingt, müssen die Schülerinnen und Schülern bestmöglich gefördert und gefordert werden, beispielsweise auch unter Zuhilfenahme adaptiver Lernsysteme, die das individuelle Lernen unterstützen. 

Schule soll aber mehr als Kompetenzen vermitteln, sondern auf das Leben in einer weitgehend unbekannten Zukunft vorbereiten. Deshalb sollte in den Schulen – gerade auch an den Gymnasien – Berufsorientierung stattfinden. Heute erfordern zahlreiche Ausbildungsberufe das Abitur. Hier über die Chancen und Möglichkeiten einer Berufsausbildung gleichberechtigt mit dem Studium zu informieren und zu beraten, kann Berufswahlentscheidungen erleichtern, zumal mit Abitur auch nach einer Ausbildung ein Studium möglich bleibt. Insofern ist unser Bildungssystem sehr durchlässig. 

Neben ökonomischer und finanzieller Bildung gehört mehr Unternehmerbildung in die Schulen. Denn wir brauchen ein anderes Mindset in Deutschland: Schülerinnen und Schüler sollen erfahren, wie es ist, Ideen zu entwickeln und dabei Risiken einzugehen, indem sie zum Beispiel eine Schülerfirma gründen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass nicht jedes Projekt erfolgreich endet. Auch Scheitern will gelernt werden. Um es klar zu sagen: nicht jeder soll eine Unternehmerin oder ein Unternehmer werden.  Es geht vielmehr darum, dass jede und jeder gute Ideen erkennt, aufgreift und entwickelt, damit gegebenenfalls andere in die Umsetzung gehen können. Daneben darf auch der Geschichts- und Politikunterricht nicht zu kurz kommen. Denn unser parlamentarisches Regierungssystem ist das Ergebnis unserer Geschichte, die informierte Bürgerinnen und Bürger kennen müssen.

Darüber hinaus sollte jede und jeder schon während der Schulzeit die Chance auf einen Auslandsaufenthalt bekommen. In einem vereinten Europa mit unterschiedlichen Kulturen werden interkulturelle Kompetenzen immer wichtiger. Sie helfen dabei, mit Menschen aus anderen Ländern angemessen umzugehen und sich in fremden Sprachen gut verständigen zu können.

Und zum Schluss noch eine offene Frage: Wollen Sie uns Schülern noch etwas mit auf den Weg zum Schulabschluss geben? 

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen ist es heute wichtiger denn je, schon in der Schule das Lernen zu lernen. Zugleich sollte sich jede und jeder darauf einstellen, lebensbegleitend lernen zu müssen. Denn niemand hat heute ausgelernt, das gilt für den Handwerksmeister genauso wie für den Rechtsanwalt.

Obwohl die Corona-Pandemie gerade den Schülerinnen und Schülern viel abverlangt hat, sind insbesondere die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Ungeachtet von Klimawandel und Kriegen sind die Chancen der jungen Generation heute enorm: jede und jeder kann und sollte sich der Mühe unterziehen und herausfinden, was ihr oder ihm persönlich wirklich wichtig ist, um dann loszulegen bzw. anzupacken. Bei aller Fokussierung auf die eigenen Ziele und Ambitionen sollte jedoch niemand vergessen, dass eine demokratisch verfasste Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer wieder neu erkämpft werden muss. Mitmenschlichkeit, Zusammenhalt und Toleranz, aber auch Leistungsbereitschaft, sind dabei wichtige Leitplanken.

Autoren: Bjarne Kischko, Pavel Tzvetkov

Pavel Tzvetkov

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