Buchrezension: Die Gespenster von Demmin

Die Gespenster von Demmin von Verena Kessler

Der Tod als solches jagt den meisten Menschen Angst ein. Wir wissen nie wann es soweit ist und sehen Gefahren nahezu überall.
Ähnlich ging es der Bevölkerung von Demmin. Als nach Ende des zweiten Weltkrieges die Rote Armee in den Ort kamen, war genau eine Sache vorherrschend: Angst. Im Unterschied zu unserer heutigen Sichtweise, gab es für diese Menschen den Ausweg des Todes. Man hatte mehr Angst vor der Roten Armee und ihren Taten als vor dem Tod. Die Hilflosigkeit der Menschen und die Angst ließ ungefähr 900 Menschen einen Massensuizid begehen. Jeder auf seine Art, alle aus denselben Gründen.

Verena Kesslers Debütroman „Die Gespenster von Demmin“ wurde 2020 veröffentlicht und setzt sich genau mit diesen Themen auseinander.

Die Protagonistin Larissa Schramm, genannt Larry, ist fünfzehn Jahre alt und findet Demmin schlicht weg langweilig. Larry besucht die neunte Klasse und möchte später Kriegsreporterin werden. Dafür ist sie fleißig am üben. Kriegsreporter/innen müssen viel aushalten können. So hängt sie eine halbe Stunde kopfüber vom Apfelbaum im Vorgarten, steckt ihre Hände solange in kaltes Wasser, bis sie blau sind und testet somit ihr Scherzempfinden. Alles eine Sache der Gewöhnung, findet Larry. Währenddessen datet ihre Mutter einen Mann und ist nun noch öfter allein Zuhause ,als sowie schon, denn ihre Mutter ist Krankenschwester. Als Larry einkaufen geht, trifft sie auf Timo. Ihn kennt Larry aus der Schule. Er ist ein Jahr älter als sie und ihr im ersten Moment mehr als unsympathisch. Dennoch finden die beiden auf ein paar Umwegen zueinander.

Während Larry versucht das Leben mit ihrer Mutter, dem neuen Freund und allen Herausforderungen, die das Leben einer angehenden Erwachsenen zu bieten hat, zu meistern, verabschiedet sich Frau Dohlberg, Larrys Nachbarin, von ihrem gewohnten Umfeld.

Frau Dohlberg bereitet sich gerade auf den Umzug in ein Seniorenheim vor. Beim packen und aussortieren ihre Habseligkeiten, fallen ihr immer wieder Gegenstände aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in die Hände. Anschließend wird von den damit verbunden Erinnerungen berichtet.

Der ganze Roman ist im Präsenz geschrieben und leicht verständlich. Wenn es zu Archaismen kommt, werden diese in nächten Nebensatz erläutert.
Die Geschichte von Larry und Frau Dohlberg läuft parallel ab. Die Kapitel unterscheiden sich erzähltechnisch.

Larrys Kapitel sind aus der Ich- Perspektive geschrieben. Larry erzählt ihre Geschichte (personales Erzählverhalten) und deutet die anderen Figuren anhand ihrer Mimik, Gestik und Wortwahl.
Frau Dohlbergs Kapitel hingegen weisen ein auktoriales Erzählverhalten auf. Der Er- /Sie-Erzähler hat Einblick in ihre Gedanken und beschreibt ihre Handlungen. Geschehnisse nach dem zweiten Weltkrieg werden als Erinnerung dargelegt. Als Leser kann man so die Geschichte sehr gut nachvollziehen.

Larrys Geschichte hingegen wirft einige Fragen auf. Diese klären sich aber im Laufe des Lesens meist in den nächsten Kapiteln.

Die fragmentarische Erzählweise ist ein Merkmal der postmodernen Literaturepoche. Verena Kessler beleuchtet die Welt vielschichtig und stellt umfassend verschiedene Gesellschaften, sowie Generationskonflikte dar. Ihr Roman behandelt intertextuell die Geschehnisse in Demmin nach 1945 und nimmt Bezug zur heutigen Welt.

Vor Beginn des Lesens habe ich mit einigen Albträumen, Gänsehautmomenten und Angst gerechnet. Dies trat nicht ein. Die Geschichte der Nachbarin Frau Dohlberg allein hätte dazu geführt. Larrys junge, neugierige und auch forsche Art nahm dem Thema ein wenig den Gruselfaktor. Jedoch kam es gleichzeitig zu keiner Verharmlosung, Beschönigung oder Herunterspielung der Massensuizide. Ich bin sehr beeindruckt, dass der Autorin diese Mischung gelungen ist.

Ich habe die ganze Zeit über nicht die Lust am Lesen verloren. Dies lag daran, dass es am Ende der Kapitel gehäuft zu Cliffhangern kam. Meist folgte darauf ein Kapitel der jeweils anderen Protagonistin. Auf eine Art total nervig und gleichzeitig sehr spannend, da man immer weiter lesen wollte.

Ich habe einen Bezug zu den Massensuiziden in Demmin, da unsere Familie in der Nähe lebte. Für mich stand dieser im Fokus und je nachdem liest man anders. Daher habe ich auch immer auf die Kapitel von Frau Dohlberg gewartet. Larrys Geschichte, war für mich eher eine Art Entschärfung der Thematik, die mich sehr wahrscheinlich vor einigen Albträumen bewahrt hat.

Besonders lesenswert ist es vermutlich für alle Geschichtsinteressierten, aber auch Romanliebhaber werden Freude beim Lesen haben. Die parallel ablaufenden Geschichten der Nachbarinnen bieten für jeden Leser etwas. Der eine mag sich auf Larrys Geschichte freuen, der andere fokussiert sich auf Frau Dohlberg und den historischen Hintergrund. Das Werk ist aus heutiger Sicht sehr realitätsnah geschrieben und zeichnet sich besonders durch seine Vielseitigkeit aus.

Ich kann den Roman jedem empfehlen.

Anna

Koboldt

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